Med Uni Graz
Mit über 1.800 MitarbeiterInnen im wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Bereich sowie mehr als 4.200 Studierenden in den Studienrichtungen Humanmedizin, Zahnmedizin, Pflegewissenschaft, Medizinische Wissenschaft, dem PhD Programm und zahlreichen postgraduellen Universitätslehrgängen bildet die im Jahr 2004 gegründete Med Uni Graz ein Zentrum der innovativen Spitzenmedizin im Süden Österreichs und ist gleichzeitig attraktiver Lebensraum bzw. Arbeitsplatz für MitarbeiterInnen und Studierende sowie wesentlicher Teil der PatientInnenversorgung am Standort.
In vier Forschungsfeldern bündelt die Forschungscommunity an der Med Uni Graz ihre Innovationskraft unter dem Generalthema der nachhaltigen Gesundheitsforschung. Das Zentrum für Medizinische Forschung, das Zentrum für Wissens- und Technologietransfer in der Medizin, die Biobank Graz mit weit mehr als 7,5 Millionen biologischer Proben und viele weitere Einrichtungen bieten die perfekte Forschungsinfrastruktur, welche bald in den Räumlichkeiten des MED CAMPUS Graz auf ein völlig neues Level gehoben wird und zur interdisziplinären Vernetzung einlädt. Gelebte Kooperationen, wie beispielsweise der Forschungsverbund BioTechMed-Graz mit der Karl-Franzens-Universität Graz und der TU Graz runden das wissenschaftliche Portfolio ab.
„Eine Hirnoperation, irgendwo in einem Krankenhaus. Zu Beginn des Eingriffs scannt der Arzt das Loch in der Schädeldecke. Die Daten sendet er an einen Computer, der die Form für die Füllung präzise berechnet. Die Maße überträgt der Rechner an einen 3D-Drucker im Nebenraum. Der fertigt – noch während der Operation – ein passgenaues Implantat aus Hochleistungskunststoffen an. Schön porös,
damit es rasch mit dem Knochen verwächst. Diese Szene ist fiktiv – jedoch nicht mehr lange …“
IDEE UND ZIELE DES PROJEKTS
Die Idee zu diesem Projekt entstand aus einem Gespräch, dass Herr OA Dr. Gord von Campe, Chirurg an der Universitätsklinik für Neurochirurgie der Medizinischen Universität Graz, mit Frau Prof. Ute Schäfer, Leiterin der Forschungseinheit für Experimentelle Neurotraumatologie, suchte. Dabei erzählte er, dass die Art und Weise, wie Schädelimplantate derzeit gefertigt und eingesetzt werden, zahlreiche Probleme verursacht: Patienten, welche aufgrund von Schädelverletzungen oder Erkrankungen des Gehirns operiert werden, muss nicht selten ein Teil ihrer Schädeldecke entfernt werden, um beispielsweise einen Tumor zu entfernen oder den intrakraniellen Druck zu verringern. Zu diesem Zweck wird der Schädelknochen des Patienten in einer ersten Operation geöffnet, um die notwendige Behandlung durchzuführen. Danach wird ein CT des Patienten erstellt und die dabei entstandenen Daten werden an externe, meist ausländische Unternehmen übermittelt, die daraus ein Implantat herstellen. Der Zeitraum, bis dieses Implantat dann wieder an der Klinik eintrifft, dauert bis zu sechs Wochen. Dann erst kann das Implantat in einer zweiten Operation in den Patienten eingesetzt werden.
Aus dieser Vorgehensweise ergeben sich einige Probleme:
- Die Patienten müssen sich nicht nur einer, sondern sogar einer zweiten Operation unterziehen, um das Implantat eingesetzt zu bekommen. Dies bedeutet für den Patienten ein doppeltes Risiko sowie eine doppelte mentale und körperliche Belastung.
- Die Kosten für die externe Herstellung eines Implantats belaufen sich je nach Größe auf 5.000 bis 11.000 €. Außerdem fallen zusätzliche Kosten für einen verlängerten Klinikaufenthalt sowie für die Durchführung der zweiten Operation an.
- Da zwischen der Aufnahme der CT-Bilder bis zum Einsatz des Implantats eine relativ große Zeitspanne liegt und sich der Knochen über die Zeit natürlich verändern kann, ist es durchaus wahrscheinlich, dass das Implantat bis zu seinem Einsatz nicht mehr passgenau ist und die Folge nicht zufriedenstellende funktionale und ästhetische Resultate sind.
Um die Belastungen für die Patienten, Ärzte und das Gesundheitssystem zu minimieren, wurde das Kooperationsprojekt „iprint“ ins Leben gerufen. In enger Zusammenarbeit von Experten aus den Bereichen Medizin, Naturwissenschaften, Materialwissenschaften, Softwareentwicklung und Maschinenbau sollten generative Verfahren (3D-Druck) entwickelt werden, die die rasche und präzise Fertigung von passgenauen Schädelimplantaten, basierend auf Patientendaten, intraoperativ direkt an der Klinik möglich machen.
Auf diese Weise wäre es möglich, dem Patienten eine zweite Operation zu ersparen, zufriedenstellende Implantate aus medizinisch zugelassenem Kunststoff herzustellen und Kosten für Klinik und Gesundheitswesen zu minimieren.
ERGEBNISSE DER PRÄKLINISCHEN EXPERIMENTE
Zur intraoperativen Herstellung passgenauer Schädelimplantate wird der Kunststoff PEEK verwendet. Dieser ist bereits medizinisch zugelassen und kommt in diesem Bereich gerne zur Anwendung. Bisher war es jedoch nicht möglich, PEEK im Verfahren der Fused Filament Fabrication (FFF) zu verarbeiten. FFF steht für Schmelzschichtung, wobei ein schmelzfähiger Kunststoff schichtweise aufgetragen wird und so ein Bauteil entsteht. Form und Topographie des gedruckten Produkts sind mit dieser Technik keine Grenzen gesetzt. Hage Sondermaschinenbau GmbH & CoKG, dem Kooperationspartner aus dem Bereich Maschinenbau, ist es nun gelungen, einen FFF-basierten 3D-Drucker zu entwickeln, der trotz der hohen Schmelztemperaturen von etwa 335°C PEEK verarbeiten kann.
Um auf Patientendaten basierende Implantate herstellen zu können, war ebenfalls die Entwicklung einer Software notwendig, um einerseits dicom-Daten aus dem CT in ein druckfähiges STL-Format umzuwandeln und andererseits eine (semi)automatische 3D-Modellierung der zu füllenden Lücke möglich zu machen. Diese Software befindet sich gerade in der Prototyp-Phase und wird vom Kooperationspartner Technische Universität Graz entwickelt.
Der Kunststoff PEEK ist bereits medizinisch zugelassen und findet in diversen Bereichen Anwendung. Die PEEK-Implantate wurden bisher jedoch immer aus einem großen Block gefräst, während der aktuelle Ansatz die Implantate durch Erhitzen bzw. Schmelzen und darauffolgendem Erhärten herstellt. Um sicher zu gehen, dass das FFF-Verfahren die physikalischen, gesundheitlich unbedenklichen Eigenschaften des Kunststoffs nicht verändert, mussten diverse präklinische Austestungen durchgeführt werden:
Mechanische Austestung
Im Rahmen der mechanischen Austestung, durchgeführt vom Kooperationspartner Montanuniversität Leoben, wurden humaner Knochen sowie Implantate aus den Kunststoffen PEEK und PP auf ihre mechanischen Eigenschaften überprüft. Ziel dabei war es, nachweisen zu können, dass Implantate aus PEEK mindestens genau so gute mechanische Eigenschaften besitzen wie der menschliche Knochen. Dazu wurden alle Proben auf ihre maximale Energieaufnahme untersucht, d.h. welcher Kraft kann ein Körper standhalten, bevor er bricht. Zur Veranschaulichung wurden die gemessenen Werte in Kilogramm umgerechnet und ein eindeutiges Ergebnis konnte erzielt werden: Die getesteten PEEK-Proben konnten bis zu 130 kg standhalten, während die humanen Knochenproben bei etwa 30 kg brachen.
In vivo Austestung potentieller entzündlicher Reaktionen
In einem Kleintierversuch wurde überprüft, ob im FFF-Verfahren gedrucktes PEEK eventuell entzündliche Reaktionen im Gehirn oder im angrenzenden Gewebe auslösen könnte. Dazu wurden männlichen Ratten PEEK- bzw. PP-Implantate eingesetzt und die Ergebnisse wurden mit jenen gesunder Kontrolltiere verglichen. Spezifische Marker wie z.B. CD11b, die bei Abwehrprozessen im Körper exprimiert werden, konnten weder bei den Implantat-Gruppen noch bei den Kontrolltieren nachgewiesen werden. Dies spricht in höchstem Maße dafür, dass der Herstellungsprozess keinen negativen Einfluss auf die Verträglichkeit der Implantate hat.
WEITERE SCHRITTE – KLINISCHE MACHBARKEITSSTUDIE
Aufgrund der positiven Ergebnisse der präklinischen Experimente und Entwicklungen, ist derzeit eine klinische Machbarkeitsstudie in Vorbereitung. Diese wird an der Universitätsklinik für Neurochirurgie an der Medizinischen Universität Graz durchgeführt. Jedes gedruckte Implantat wird zytotoxisch sowie auf seine Sterilität untersucht und alle notwendigen Schritte für den intraoperativen Einsatz eines Implantats werden standardisiert. Nach Fertigstellung eines Standard Operating Protocols werden die Implantate im Rahmen einer klinischen Prüfung in den Patienten eingesetzt.
Nach erfolgreichem Abschluss der klinischen Prüfung kann der medizinische 3D-Drucker auch für andere Anwendungen weiterentwickelt werden und in diesen Bereichen eingesetzt werden (z.B. Orthopädie, Thoraxchirurgie, Kieferorthopädie). Für all diese Bereiche gelten dieselben Vorteile: reduzierte mentale und physische Belastungen für den Patienten, reduzierte Kosten für Kliniken und Gesundheitssystem sowie zufrieden stellendere funktionelle und ästhetische Ergebnisse.